Luna Seelengefährtin

luna

Schreiben heißt auch, sich gegen das Vergessen aufzulehnen. Auf dieser Buchstabenfährte, kann meine liebe Luna für immer Gassi gehen. In mir lebt sie so lange weiter, wie ich atme.

Nachfolgend ein Textauszug aus Luna Seelengefährtin

Die Streber

Bei Frau Bärmann in der Hundeschule galten Luna und ich als Streber. Wenn die Chefs meiner Mitschüler oft eher deren Angestellte waren und als solche berichteten, was sich ihre Vierbeiner geleistet hatten, staunte ich. Mogli hatte auf das Sofa seines Frauchens geschissen. Die helle Luna hatte ihre Leine zerbissen, die dunkle Luna hatte Holzkohle gefressen und war fast gestorben, Pascha hatte so lange am Kabel gezogen, bis der Fernseher zersplittert am Boden lag. Chicco hatte eine Packung Schnapspralinen gefressen, danach musste ihm der Magen ausgepumpt werden; es kamen einige vermisste Gegenstände zum Vorschein. In der Tierarztpraxis roch es wie in einer Ausnüchterungszelle. Über zerkaute Schuhe, Decken, Kleidungsstücke regte sich niemand auf. Das war normal. Bei uns nicht. „Luna hat noch nie was zerkaut”, sagte ich und machte mich wieder mal superbeliebt in der Runde. Auch Frau Bärmann konnte mich nicht leiden, das merkte ich genau, dabei wären Luna und ich das beste Aushängeschild für ihre Hundeschule gewesen. Aber Frau Bärmann mochte keine Labbis, wie sie diese Rasse nannte. Aus ihrem Mund klang es nach Waschlappen und Warmduscher. Das waren keine richtigen Hunde. Zu lieb. Frau Bärmann hatte selbst drei Hunde in der Größe von Doggen, die saßen in ihrem Van und fletschten die Zähne. Wenn man zu nah an dem Wagen vorbeiging, warfen sie sich knurrend an die Scheiben. Der Van schaukelte. Das fand Frau Bärmann sexy. „Ein Hund muss Respekt einflößen”, ließ sie uns wissen. Das fand ich nicht. Ich fand Luna toll, die absolut friedfertig jedem Konflikt aus dem Weg ging. Auf ihre eigene Art und Weise. Diese zu durchschauen kostete mich ein, zwei Jahre.

Sobald wir anderen Hunden begegneten, die Luna nicht koscher waren, unterwarf sie sich entweder oder quietschte laut auf, sodass man glauben konnte, sie sei schwerstverletzt. Sofort stürzten die Besitzer der anderen Hunde herbei, schimpften ihre Hunde aus und trösteten die arme, arme Luna. Der überhaupt nichts passiert war. „Was hat der böse Burli/Charly/Sammie/Theo dir getan, du armes Mädi!“ Luna drückte sich eng an die Beine der fremden Chefs und ließ sich trösten. Sie kommunizierte einfach lieber gleich mit der höheren Instanz. Was von ihren Artgenossen nicht gern gesehen wurde. Aber wehe, die zeigten das. „Schluss jetzt Burli! Was bist du für ein böser Junge!” Augenaufschlag von Luna. Wedel, wedel. Sieg auf ganzer Linie.

Johannes fand es manchmal peinlich, wenn er mit Luna Gassi ging und sie sich vor einem Dackel unterwarf. Ich fand das auch übertrieben, aber im Großen und Ganzen mischte ich mich da nicht ein. Sie wusste bestimmt besser, was sie tat, und es ging ja um ihr Fell, nicht um meines. Frau Bärmanns Achtung gewann Luna mit ihrer klugen Strategie jedenfalls nicht, obwohl sie in sämtlichen Kursen der mutigste Hund war, wenn es darum ging, über einen Schwebebalken zu balancieren, durch dunkle Röhren, die sich wie Gedärm auf dem Hundeplatz ringelten, zu rasen, über Wände und durch einen Feuerreifen zu springen. Die üblichen Angstmacher, ob weiße Böden, Regenschirme, Plastiktüten oder Gitterroste, ließen sie kalt. Und wenn sie doch einmal zögerte und ich sie aufforderte, etwas trotzdem zu tun, dann machte sie das. Manchmal mit einem lauten Jaulen, weil sie so sehr mit sich kämpfen musste. Aber sie machte es. So wie sie mir ohne Leine in die Tierarztpraxis folgte. Obwohl sie da auf keinen Fall rein wollte.. So wie sie mir einmal von einem hohen Podest aus in die Arme sprang, als ich „Hopp!” rief. Ihr grenzenloses Vertrauen rührte mich zu Tränen. So wäre sie auch mit mir zum Einschläfern gegangen. Treu bis in den Tod.

Frau Bärmann konnte sehr gut mit Hunden und überhaupt nicht mit Menschen umgehen. An den Hunden hängen nun aber mal Menschen dran. Die bei Frau Bärmann rüde behandelt wurden. Sie hatte allein Verständnis für die Hunde und deren Verhalten, am liebsten Problemhunde. Da war kein Platz für Luna, die am liebsten Lösungen suchte. Luna war von Anfang an der langweiligste Hund der Welt. Kein Fall für die Hundehalterhaftpflicht, keine Beißerei, keine Buddelei, in den ersten sechs Wochen bellte sie nicht mal, sodass ich glaubte, sie wäre stumm. Als eines Tages ein sattes Wuff ertönte, fiel ich vor Schreck fast die Treppe runter. Kein Wunder, dass uns in der Hundeschule niemand mochte.

Ich meldete Luna und mich zu einer Probestunde beim Agility an. Kaum hatten wir den gepflegten Rasen des Übungsplatzes betreten, musste sie mal. Da schoss eine Frau um die Ecke. „Nein! Hier wird nicht gepinkelt! Das ist ver-bo-ten!“ Dann rannte sie mit einer Gießkanne zu dem Schandfleck und goss ihn „Wie sollen die Rüden denn da Leistung zeigen, wenn sie solche Duftmarken setzt?“

Ich streckte die Hand aus und stellte mich vor. Da kam der Platzwart, weiblich wie die meisten hier, und freundlich. Sie zeigte mir die Hindernisse, ich musste Luna an der Leine führen, und sprach über das Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Tier, die Bindung, das gemeinsame Erlebnis gemeisterter Aufgaben. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich eine dicke Frau mit einem Schäferhund. Sie legte ihn vor ein Steildach ins Platz, ging um die Wand herum, erklomm sie von hinten und hing dann mit Händen und Kopf oben am Dach. Ihr Gesicht leuchtete ampelrot, sie schüttelte den Kopf, um den Hund auf sich aufmerksam zu machen, und dabei hing ihr die Zunge weit aus dem Mund. Sie schien sich sehr angestrengt zu haben. Nein, es war keine Zunge, es war ein Fetzen rohes Fleisch. Nein, sie hatte ihn sich nicht aus der Backe gebissen, das war offenbar die hier gültige Währung. Der Schäferhund jaulte, dann kletterte er nach oben und riss der Frau das rohe Fleisch aus dem … Maul? Entgeistert starrte ich zu der Steilwand.

Hin und wieder wurde ich Zeugin, wie sich Tierhalter mit ihren Vierbeinern unterhielten, oder hörte, was sie in sie hineininterpretierten. Womöglich sparte das die Kosten für eine Psychoanalyse? Man redet ständig und bekommt keine Antwort, die man sich dann selber gibt, Therapieziel erreicht.

„Ja, gell, das ist jetzt schade, dass das Gassi schon vorbei ist.“

Neurotische Fixierung auf Vergangenes.

„Aber wir sind ja gleich daheim beim Papa.“

Kastration des Ehemannes.

„Und da darfst du dann ein schönes Schlafi machen.“

Suggestivrhetorik zur Manipulation.

„Aber vorher kriegst du noch ein feines Fressi.“

Orale Triebbefriedigung.

Unterm Strich hat sich die Krankenkasse dieses Frauchens mehrere tausend Euro gespart, denn sie hat ihre Vergangenheitsfixierung erfolgreich in die Gegenwart transformiert, sich mit der Beziehung zu ihrem Mann arrangiert, indem sie das Beste daran lösungsorientiert in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit stellte, ist insgesamt gelassener geworden und hat ihre Essstörung in den Griff bekommen. Der Unterhalt von Haustieren sollte von Krankenkassen übernommen werden!

 

Rezensionen zu “Luna Seelengefährtin”: Hunderosa, Kalte Schnauze, Fiffibene, Positiv Magazin, Fachbuchkritik, Belles Leseinsel, Rezensionsseite, Cityblick24, Lesendes Katzenpersonal

Teile diesen Beitrag

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert